Das Rätsel Francis Bacon

Das Rätsel Francis Bacon

"Das Rätsel Francis Bacon"
Doku ZDF/ARTE/BBC 2017 von Richard Curson Smith.
Aufnahme: ARTE 08.08.2020.

Francis Bacon war der lauteste, wildeste, betrunkenste, masochistischste und gleichzeitig gefragteste und teuerste britische Künstler des 20. Jahrhunderts. Die mysteriösen Todesumstände seiner beiden Liebhaber jeweils am Vorabend bedeutender Ausstellungen von Bacon trugen ebenfalls zu dem öffentlichen Bild des exzessiven Malers, des selbst ernannten „Roaring Boy“, des „Lord of Misrule“ bei. Als Autodidakt stürmte er an die Spitze der Kunstcharts und gab das viele Geld bereitwillig in Kasinos, Pubs und für Freunde aus. Hinter diesem Image verbarg Bacon eine Welt von persönlichem Schmerz und Verlust, die nun zunehmend auch den Blick auf sein Werk verändert. Auf der einen Seite spektakulär unvorsichtig, was manche Aspekte seines Lebens in der Öffentlichkeit betraf, wollte Bacon andererseits möglichst viele Informationen über sich sowie die Interpretation seiner Werke kontrollieren. Er versteckte sich in aller Öffentlichkeit, indem er unablässig Statements in die Öffentlichkeit warf, die Empörung auslösten - über die Kunst und das Leben, über Liebe und Tod. Als der Bacon-Kult einsetzte, war der Maler Gottheit und erster Priester in einer Person. Das Ziel: unter allen Umständen ein Rätsel zu bleiben. Für Bacon die Bedingung für die Entstehung großer Kunst. Seine wichtigsten Liebesbeziehungen, die eine von Sadismus geprägt, die andere mit einem gewaltbereiten Kriminellen, beeinflussten seine künstlerische Entwicklung nachhaltig. Am Ende erbt ein Kneipenwirt, der nie lesen und schreiben gelernt hatte, den größten Kunst-Estate in Großbritannien. Und doch bestritt Francis Bacon immer den Bezug seiner alptraumhaften Bildvisionen zu seinem Leben. In diesem Film erzählen Experten und Freunde, einige von ihnen zum ersten Mal, von ihrem Leben mit dem Maler. Ein Film über große Kunst und über ein faszinierendes Leben im 20. Jahrhundert.

Im Gespräch mit Galeristen, Mäzenen und Wegbegleitern, darunter die Musikerin Marianne Faithfull und Hollywoodstar Terence Stamp, zeichnet Richard Curson Smith ein dichtes und kurzweiliges Porträt. Filmdokumente zeigen den 1909 in Dublin geborenen Sohn eines Pferdehändlers zumeist in Feierlaune, lassen aber auch seine düsteren Seiten erahnen. „Wenn wir ausgingen“, erinnert sich ein Freund, „war es manchmal, als ob er durch eine Wand in eine andere Welt ging und verschwand“.

Quälende Affären. Der Film folgt dem Künstler in diese düstere Parallelwelt. Als roter Faden dienen dabei die quälenden Affären zu jenen homosexuellen Liebhabern, die ihn auf eine abgründige Weise inspirierten. Peter Lacy, ein sadistischer Ex-Bomberpilot, schubste Bacon einmal durch eine Glasscheibe im zweiten Stock. Trotz schwerer Gesichtsverletzungen habe er ihn danach nur umso mehr geliebt. In späteren Jahren versuchte George Dyer, ein Ganove aus dem Londoner East End, bei Bacon einzubrechen. Er wurde sein Modell und seine wichtigste Muse. Zwei Tage vor der Eröffnung von Bacons großer Ausstellung im Pariser Grand Palais im Jahr 1971 verübte Dyer Selbstmord. Und zwar auf einem Toilettensitz: genau so wie Bacon den Freund zuvor gemalt hatte. Dieses tragische Erlebnis, so der langjähriger Freund und Biograph Michael Peppiatt, gab dem Maler „sein vielleicht tiefgründigstes Motiv in seinem Leben“.
Schockierende Röntgenbilder

Diese Ineinanderspiegelung von Leben und Werk, so reizvoll der Dokumentation sie auch nachzeichnet, kann das Schaffen dieses Ausnahmekünstlers natürlich nicht wirklich ausloten. Deshalb beleuchtet der Film auch die einzigartige Technik dieses Autodidakten, der nie eine Akademie besucht hat. Instinktiv widersetzte Bacon sich der seinerzeit vorherrschenden Strömung des abstrakten Expressionismus, um stattdessen den menschlichen Leib mit dem Pinsel zu sezieren. Inspiriert von den seriellen Bewegungsstudien Eadweard Muybridges, einem Pionier der Fototechnik, entwickelte der Maler einen quasi kubistischen Blick auf den männlichen Körper. Gewalt, Zerstörung und Verfall, all die markanten Verbiegungen und Verformungen seiner Figuren, die scheinbar durch den Fleischwolf gedreht wurden, sind keine Allegorie für Krieg und äußere Verletzungen. Mit seinen schockierenden Geisterbildern erstellt Bacon intime Röntgenaufnahmen eines Schmerzes, den jeder von uns mehr oder weniger in sich trägt: Der Schmerz, zu leben. In ihren intensivsten Momenten macht die Dokumentation genau dies spürbar.

Francis BaconMaler

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